Accueil > Revue de presse > "Heute noch keine Revolution", par Johannes Willms, "SudDeutsche Zeitung", (...)

"Heute noch keine Revolution", par Johannes Willms, "SudDeutsche Zeitung", 31 mars 2009

jeudi 2 avril 2009

In Frankreich wächst der Unmut auch an den Universitäten. Landesweit protestieren Studenten und Lehrkräfte gegen die geplante Hochschulreform

Der weite Platz vor dem Pantheon in Paris war am Montagnachmittag die Szene für das jüngste Happening, mit dem sich in Frankreich der landesweite Protest von Studenten und Lehrkräften gegen die von der Regierung geplanten Universitätsreform artikulierte. Am Abend zuvor hatte Valérie Robert, die seit Beginn der Streikaktionen an den Universitäten rastlos E-Mails mit Veranstaltungsankündigungen, Proklamationen und Analysen verschickt, den Aufruf "Au sécours, reveillons les Grands Hommes" verbreitet. Der Appell war eine Anspielung auf die Inschrift, die in goldenen Lettern über dem Peristyl des Ruhmestempels prangt, in dem seit der Revolution von 1789 die großen Toten Frankreichs beigesetzt werden. Gut einhundert Personen, zumeist Studenten, fanden sich ein und machten einen Höllenlärm. Mit Holzlöffeln schlugen sie auf Töpfe und Pfannen, ließen Pfeifen trillern oder stießen in Hörner.

Diese viertelstündige ohrenbetäubende Kakophonie, der neben einigen ratlosen Touristen wenigstens fünf Fernsehteams und auch ein gutes Dutzend Sbirren in Uniform und Zivil beiwohnten, ist ein Beispiel für die Phantasie, mit der seit zwei Monaten landesweit gewaltlos und gutgelaunt gegen die von Präsident Nicolas Sarkozy gewollte Reform der Universitäten aufbegehrt wird. Ein anderes aktuelles Beispiel liefert die "Ronde infinie des obstinés". Das ist eine Gruppe von Demonstranten, die seit dem Mittag des 23. März in zumeist schweigendem Protest ständig im Kreis herumgehen. Und das bei Tag und Nacht auf dem Platz vor dem Pariser Rathaus, der Place de Grève, dessen Name sinnigerweise das französische Wort für Streik ist. Hier wie vor dem Pantheon lautet der Slogan : "Nein, die Universität ist weder ein Unternehmen, noch ist Bildung eine Ware".

Derart einfallsreich und griffig wird ein Gesetz attackiert, das es beispielsweise den Präsidenten der einzelnen Universitäten gestatten soll, festzulegen, wie viel Zeit einer der rund 90 000 Professoren in Forschung, Lehre oder Verwaltung tätig zu sein hat. Um das festzustellen, muss sich jeder Lehrende alle vier Jahre evaluieren lassen, sprich seine Leistung nachweisen. Dahinter steht die Absicht, das Lehrpersonal möglichst effizient, also zeit- und kostensparend, einzusetzen. Die Pointe dabei ist, dass die Universitäten künftig auch autonom über die Verwendung ihres Etats, in den auch Drittmittel seitens der Industrie einfließen können, entscheiden. Vor allem diese Absicht erhellt, warum die Studenten im Protest mit den Professoren vereint sind, denn sie fürchten, dass ihre Ausbildung nicht nur zeitlich verkürzt, sondern auch auf die Nachfrage des Arbeitsmarkts respektive der Industrie zugeschnitten werden soll.

Der Protest lässt sich ignorieren

Solange Studenten und Professoren sich damit bescheiden, derart spielerisch ihren Unmut über das geplante Gesetz kund zu tun, der Lehrbetrieb außerdem nicht völlig zum Erliegen kommt, kann es sich die Regierung leisten, den Protest weitgehend zu ignorieren. Trotzdem scheint Wachsamkeit geboten, weshalb seit Wochen in unmittelbarer Nähe der Pariser Sorbonne Einheiten der wegen ihrer Schlagfreudigkeit gefürchteten Compagnie républicaine de sécurité (CRS) bereit stehen. Auch muss, wer die Universitätsgebäude betreten will, seinen Studentenausweis vorzeigen.

Die Universitäten sind aber nur ein gesellschaftlicher Bereich, in dem sich augenblicklich Unmut regt. Für die Regierung weitaus gefährlicher wäre eine breite Protestbewegung, die in Reaktion auf die Auswirkungen der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise in Frankreich in Gang käme. Deshalb wurde es mit spürbarer Erleichterung quittiert, dass der 19. März, für den die Gewerkschaften schon zum zweiten Mal in diesem Jahr zu einem landesweiten Streik aufriefen, nicht der Tag war, an dem Frankreich lahmgelegt wurde. Zwar zogen in Paris und anderen großen Städten einige hunderttausend Menschen friedlich demonstrierend durch die Straßen, aber Bahnen und Busse, die Pariser Metro und die RER verkehrten fast im gewohnten Takt. Auch Post und Pakete wurden ausgeliefert, lediglich auf die Zeitungen musste man am 20. März verzichten. Deren Auslieferung wurde bestreikt.

Angst vor einer Streikwelle

Das Geschehen an diesem 19. März war symptomatisch für die Stimmung, die in Frankreich augenblicklich noch vorherrscht. Die Krise bekommen zwar viele zu spüren, aber dank der umfassenden Instrumentarien sozialer Vorsorge des französischen Staats keineswegs alle in gleicher Härte. Das erklärt, warum der allgemeine Unmut wegen der gefühlten Bedrohung der Besitzstände zwar wächst, sich bislang jedoch meist nur in friedlichen und vereinzelten Protesten artikuliert. Das kann sich jedoch ändern, sollten immer mehr Unternehmen dazu gezwungen werden, ihre Werke dicht zu machen und die Belegschaft auf die Straße zu setzen. Das könnte die Konflikte rasch verschärfen und damit das Schreckgespenst vom Mai ’68 heraufbeschwören, als dem Regime de Gaulles nicht wegen der Revolutionsfolklore der Pariser Studenten, sondern wegen der landesweiten und sich sehr militant gerierenden Streikwelle, die auch von den Gewerkschaften nicht mehr beherrscht wurde, der Umsturz drohte.

Um diese Gefahr wissen auch die zersplitterten französischen Gewerkschaften, die heute noch schwächer sind als damals, als sie in der Kommunistischen Partei noch einen mächtigen Bundesgenossen hatten. Deshalb erklärten sie den 19. März zu einem großen Erfolg. Allein die Demonstrationszüge lieferten nicht den Nachweis, dass es gelungen ist, der schwelenden Kritik Stoßkraft zu verschaffen und das Handeln der Regierung zu beeinflussen. Dies verschafft der Regierung eine Ruhepause. Zumindest vorläufig. Die Frist versuchte sie durch symbolpolitische Zugeständnisse an den Volkszorn flugs zu verlängern. Dazu gehört das gestern verkündete Gesetzesdekret, das Bonuszahlungen und Genussscheine für Manager untersagt, deren Firmen staatliche Finanzhilfen bekommen haben. Es trifft aber nur Führungspersonal von sechs Banken und 13 Industrieunternehmen.

Die den gefürchteten Volkszorn beruhigende Wirkung solcher Gesten ist also begrenzt. Von Sarkozy war unlängst das Eingeständnis zu vernehmen, Frankreich sei keineswegs das Land auf Erden, das sich am einfachsten regieren ließe. Das musste ihm auch schon vorher bekannt gewesen sein, er hatte nur zunächst den kämpferischen Anschein erweckt, die Lehren der Vergangenheit über das besondere Wesen Frankreichs souverän missachten zu können. Jetzt, im Angesicht der Weltwirtschaftskrise, beginnt Sarkozy die Komplexität Frankreichs zu erkennen. Vor allem davon, welche Schlüsse er aus dieser Einsicht zieht, dürfte es abhängen, ob die Franzosen das Land erneut in eine Art Revolution stürzen.

Von Johannes Willms


Voir en ligne : http://jetzt.sueddeutsche.de/texte/...