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"Noch marschieren sie getrennt", par Michaela Wiegel, "Frankfurter Allgemeine Zeitung", 16 avril 2009

jeudi 16 avril 2009

30. März 2009 Eine dichte schwarze Rauchsäule steigt über dem Elysée-Palast auf. „Ob es bei Sarkozy brennt ?“, fragt der Taxifahrer, als könnte er daran Gefallen finden. Nein, es sind aufgebrachte Mitarbeiter des deutschen Reifenherstellers Continental, die unweit des Präsidentenpalastes Reifen verbrennen, Reifen, die niemand mehr kaufen will. Die Polizisten, die breitbeinig das Feuer säumen, husten im Gummiqualm, aber sie verstehen die Wut der „Contis“ - das sagt einer der schwer gerüsteten Ordnungshüter, der so etwas eigentlich nicht sagen darf : „Aber es ist schon ein Skandal, wie sich die Unternehmen jetzt ihrer Mitarbeiter entledigen.“

1120 Beschäftigte arbeiten in der Continental-Fabrik in Clairoix. Sie durften sich bis vor kurzem noch als vorbildliche Belegschaft fühlen, denn 2007, als Nicolas Sarkozy mit seinem Slogan „Mehr arbeiten, um mehr zu verdienen“ die Präsidentschaftswahl gewann, verzichteten die „Contis“ in der Picardie auf die 35-Stunden-Woche. Sie stiegen wieder auf einen 40-Stunden-Rhythmus um, ohne Gehaltserhöhung, wie es die Geschäftsführung ihnen nahegelegt hatte. Die Belegschaft glaubte, sie habe sich mit ihrem guten Willen eine Überlebensgarantie erkauft. Das erklärt die ungehemmte Wut, die sich entlädt, seit die Geschäftsführung angekündigt hat, das Werk im nächsten März schließen zu wollen.

Da sind zum Beispiel Denis und Claudie Merlin, zwei Kinder, zwei Jobs bei Continental - nach Paris kommen sie nicht oft, jetzt sind sie hier, weil sie ohnehin nichts zu verlieren haben. Auf dem Papier, sagt Claudie, seien fünf Stunden mehr Arbeit nicht viel, aber der Kleine, Alex, heute sieben Jahre, habe es schon gespürt, dass sie weniger zu Hause war. Jetzt treibt sie die Angst, bald nur noch zu Hause zu sitzen. Ihr Mann Denis hat sich als einer der Ersten dem „Kampf-Komitee“ der Contis angeschlossen : „Wir sind jetzt alle dran, also verteidigen wir uns besser sofort“, sagt er.

Professoren und Studenten in seltener Eintracht

Treffpunkt „Port Royal“ : Die Polizisten mit ihren Schutzschilden sind schon da, sie bilden eine imposante Reihe, an der sich alle vorbeischlängeln müssen, die aus der Untergrundbahn RER steigen. Die Demonstranten sind mit Luftballons und bunten Staubwedeln bewaffnet. Selbst Valérie Robert, die täglich die E-Mails mit den Aktionsaufrufen herumschickt, weiß nicht, der wievielte Demonstrationszug mit Ziel Hochschulministerium das jetzt ist. Seit zwei Monaten sind Professoren und Studenten „in Protest“ getreten. Es ist kein Dauerstreik, sondern eine Auflehnung mit Unterbrechungen, zwischendurch wird studiert und gelehrt. Überall im Land hat sich ein „alternativer Lehrbetrieb“ entwickelt, Vorlesungen wurden ins Freie oder an symbolische Orte verlegt, Professoren und Studenten sind in seltener Eintracht vereint.

„Wir protestieren, um die Universitäten zu retten“, sagt Jean Pierre, ein Professor, der seinen vollen Namen lieber nicht in der Zeitung sehen will. Jean-Pierre trägt eine randlose Brille und eine abgewetzte Ledertasche, er läuft hier „nicht, um meine Privilegien zu verteidigen“, bis zur Pensionierung hat er es nicht mehr lang. „Die Regierung will die Universitäten als frei denkende Bildungsanstalten kaputtmachen, wir sollen Denkfabriken für die Interessen der Wirtschaft werden, vom Firmensponsoring abhängige Dienstleister“, sagt Jean-Pierre.

Ein Mosaik aus sozialen Brennpunkten

Das befürchten auch Marc und Isabelle, Erstsemesterstudenten, die auf dem Boulevard Richtung Quartier Latin schlendern wie bei einem netten Frühlingsspaziergang. „Autonomie, das hört sich besser an als : weniger Geld, weniger Planstellen, mehr Leistungsdruck, sucht euch gefälligst Sponsoren in der privaten Wirtschaft“, sagt Isabelle. „Unsere Studiengänge sollen angepasst werden an die Anforderungen der Wirtschaft, die sich schnell ändern können“, sagt Marc. Isabelle hat zuletzt demonstriert, als sie noch in der Oberstufe war, als die Regierung einen Sonderarbeitsvertrag für Berufseinsteiger durchsetzen wollte. Damals hätten sie es geschafft, den Premierminister zum Rückzug zu zwingen - „Warum sollte es dieses Mal nicht klappen ?“

Wenn Präsident Sarkozy dieser Tage auf Frankreich blickt, dann entdeckt er ein Mosaik aus sozialen Brennpunkten. Noch handelt es sich um vereinzelte Konflikte, mit unterschiedlichen Ursachen, hier der Entlassungsplan, dort das Reformprojekt, in der Banlieue die allgemeine Hoffnungslosigkeit. Die Arbeitslosenrate der jungen Franzosen unter 25 Jahren ist auf 20,4 Prozent im nationalen Durchschnitt angestiegen. Am schlimmsten trifft es die jungen Leute in den 700 „sensiblen urbanen Zonen“, in den Vororten der großen Städte. Dort ist die Arbeitslosenrate derer 25 Jahren zwischen Januar 2008 und 2009 um 57,8 Prozent angestiegen. Auch die Hochschulabgänger aus der Banlieue finden kaum noch eine Anstellung, ihre Arbeitslosenrate hat sich im vergangenen Jahr verdoppelt, laut Informationen von „Mediapart“.

Milliardenplan gegen die Jugendarbeitslosigkeit

Wie aber kann verhindert werden, dass daraus ein sozialer Flächenbrand wird ? Bernard Kouchner, Sarkozys Mann aus der Linken, empfängt in seinem großzügigen Außenministerbüro, goldverzierter Stuck, schwere Vorhänge, Kronleuchter. Von der Gartenfront verhallen Schüsse, „die Landwirte, Herr Minister“, sagt ein diensteifriger Mitarbeiter. Auch die Landwirte protestieren, sie schießen Feuerwerkskörper in die Luft, warum, das weiß auch der Mitarbeiter nicht so genau. Wahrscheinlich die Quoten aus Brüssel, die Krise trifft alle.

Minister Kouchner seufzt, er versteht die Unzufriedenheit im Lande, er hält die Situation für „sehr brenzlig“. „Wir haben allen Anlass, uns um unsere Jugend zu sorgen und ihnen Perspektiven zu eröffnen“, sagt Kouchner. Der Minister war lange ein Idol der jungen Franzosen, als anpackender Arzt, ein Globetrotter, der das Elend in aller Welt zu lindern versuchte. Die von ihm mitbegründeten Hilfsorganisationen „Médecins sans frontières“ und „Médecins du monde“ zogen viele idealistische junge Leute an. Jetzt hat Kouchner sich mit der Macht Sarkozys arrangiert, sein Ruf ist befleckt durch das Pamphlet des Journalisten Pierre Péan, in dem ihm vorgeworfen wird, kurz vor seinem Amtsantritt aus Geldgier bei Aktivitäten in Afrika persönliche und diplomatische Interessen vermengt zu haben. Kouchners früherer Kabinettsdirektor Martin Hirsch trägt fortan die Verantwortung „als Hoher Kommissar für die Jugend“. Kouchner findet es richtig, wie Hirsch vehement einen Milliardenplan gegen die Jugendarbeitslosigkeit fordert, „eine massive Investition in die nachfolgende Generation“. Aber er weiß auch nicht, ob es dafür das nötige Geld geben wird.

Sarkozys „culture générale“ : Johnny Hallyday

„Die in“ nennen die Studenten ihr Spektakel vor der Sorbonne, sie sterben für ihre Universität, liegen wie tot vor dem altehrwürdigen Gebäude. Sie sind phantasievoll, mit immer neuen Aktionen machen sie auf sich aufmerksam. Da gibt es zum Beispiel die öffentlichen Lesungen der „Prinzessin von Clèves“. Der Roman der Marie-Madeleine de La Fayette gehört seit Abiturientengedenken zum Lektürekanon am Gymnasium. Er war nicht sonderlich beliebt, bis Präsident Sarkozy ihn als „Paradebeispiel für ein verstaubtes und überholtes Werk, also pädagogisch völlig ungeeignet“ bezeichnete.

Seither wird die „Prinzessin von Clèves“ wie eine Kampfschrift rezitiert. Auf der Pont des Arts steht heute ein junger Mann, er brüllt gegen den Straßenlärm an : Ein Roman als Protest gegen den Literaturutilitarismus, gegen das Weltbild Sarkozys. Er ist der erste Präsident Frankreichs, für den „culture générale“ mehr aus den Liedtexten von Johnny Hallyday und Zitaten aus den Filmen „Les Bronzés“ besteht denn aus dem klassischen Bildungskanon.

Sarkozys Vorgänger Chirac tat zwar, als sei er ein Kulturbanause, um Volksnähe zu erzeugen, war aber hochgebildet. Sarkozy braucht seine Edelfeder Henri Guaino, wenn er aus der Fülle der französischen Dichter und Denker schöpfen will. Deshalb scheint es kein Zufall zu sein, dass die soziale Unrast sich mit einer weltanschaulichen Debatte zu paaren scheint. „Prinzessin von Clèves statt Rolex“, sagt Jean-Pierre, der Professor, das sei doch ein hübsches Motto. Sarkozy hat derweil seine Lektürenliste publik gemacht, er liest demnach Alexandre Dumas („Königin Margot“) und Max Gallo („Die Französische Revolution“). „Wir erleben eine wahrhaftige Revolution. Niemand, auch kein Regierungsplan, kann deren Ende bestimmen und auch nicht die Art von Gesellschaft, die daraus entstehen wird“, hat der Historiker Max Gallo kürzlich in einem Essay geschrieben. „Die Krise ist nur ein Symptom für den Wandel, der am Werk ist.“


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