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"Revolution der Professoren", Tagesspiegel, 26 février 2009

mercredi 4 mars 2009

In Frankreich wehren sich Zehntausende von Wissenschaftlern gegen Sarkozys Hochschulpolitik.

Frankreichs Universitäten kommen nicht zur Ruhe. Nach den Streiks der Studenten, die die Hochschulen vor drei Jahren lahmlegten, sind es jetzt die Hochschullehrer, Professoren und Assistenten, die in den Universitätsstädten auf die Straße gehen. Über 50 000 Akademiker demonstrierten vergangene Woche im ganzen Land. In Paris besetzten Studenten, die sich der Protestbewegung angeschlossen hatten, kurzzeitig einen Hörsaal der Sorbonne, den sie dann aber nach Erscheinen der Polizei räumten. Am heutigen Donnerstag soll es weitere Proteste geben.

Anlass des Konflikts ist ein neues Hochschulgesetz. Es soll den Universitäten mehr Autonomie in Budget- und Personalfragen bringen und es ihnen zum Beispiel auch ermöglichen, private Gelder einzuwerben. Es war eines der ersten Reformvorhaben aus Präsident Nicolas Sarkozys Wahlprogramm, das die Regierung von Premierminister Francois Fillon sofort im Sommer 2007 als „wichtigstes Gesetz“ der neuen Legislaturperiode ins Parlament brachte. So eilig hatte es die Regierung damit, dass die federführende Hochschul- und Forschungsministerin Valérie Pécresse sich nicht einmal die Zeit nahm, die Vertreter der von der Reform betroffenen Hochschullehrer, Forscher und Studenten zu konsultieren.

Trotz mancher Bedenken fand das während der Ferien im August jenes Jahres durchs Parlament geschleuste Gesetz dann jedoch bei einer Mehrheit der Hochschulangehörigen Zustimmung. Die Befürchtung, dass der Staat sich aus der finanziellen Verantwortung für die Hochschulen stehlen könnte, hatte Sarkozy mit dem Versprechen zerstreut, die Budgetmittel für das sträflich vernachlässigte Hochschulwesen bis 2012 um 50 Prozent zu erhöhen.

Eineinhalb Jahre danach ist die Zustimmung in ihr Gegenteil umgeschlagen. Die erste Enttäuschung kam im vergangenen Herbst, als die Regierung im Zuge der Budgetberatungen auch der Hochschulministerin Einsparungen verordnete. Wie in allen staatlichen Verwaltungen, in denen nach einem anderen Wahlversprechen Sarkozys mehrere tausend durch Pensionierungen frei werdende Stellen nicht wieder besetzt werden, sollen auch bei Unis und Forschungseinrichtungen 2009 etwa tausend Posten auf diese Weise gestrichen werden.

Die nächste kalte Dusche erlebte die Hochschulgemeinde Anfang dieses Jahres, als Ministerin Pécresse ein Dekret vorlegte, mit dem eine wichtige Neuerung des Reformgesetzes konkretisiert werden sollte : die Bewertung der Tätigkeit des wissenschaftlichen Personals. Zuständig für die Evaluierung der Arbeit von Hochschullehrern und Assistenten sollten nach dem Dekret künftig nicht kollegiale Gremien sein, sondern allein die Universitätspräsidenten. Von deren Bewertung würde es dann abhängen, ob ein Wissenschaftler, der weniger Forschungsergebnisse als andere vorzuweisen hat, zum Ausgleich mehr Vorlesungen zu halten hat als ein Kollege, der mit häufigeren Veröffentlichungen in Fachzeitschriften aufwarten kann. Wie Mandarine würden die Uni-Präsidenten damit über Forschung und Karrieren herrschen, kritisierte der Mathematik-Professor Bertrand Monthubert vom Komitee „Rettet die Forschung“ : „Wer als Forscher schlecht bewertet wird, muss zur Strafe mehr Vorlesungen halten.“

Das Fass zum Überlaufen brachte dann aber Präsident Sarkozy, als er Ende Januar den französischen Forschern in einer provozierenden Rede vorhielt, bei vergleichbaren Budgets im Durchschnitt 30 bis 50 Prozent weniger zu veröffentlichen als ihre britischen Kollegen. Für die Wissenschaftler, so vergriff sich der um Ironie bemühte Präsident im Ton, sei es wohl nur wichtig, dass es in ihren Labors „hell und geheizt“ sei. Mit diesem als verächtlich empfundenen Scherz habe Sarkozy keinen Beitrag zur Debatte über die Zukunft von Forschung und Lehre geleistet, sondern die Welt der Wissenschaft erst richtig gegen sich aufgebracht, kommentierte „Le Monde“. Selbst Universitätspräsidenten, die die Reform bis dahin unterstützten, waren entsetzt : „Wenn man reformieren will, darf man die betroffenen Leute nicht beleidigen“, formulierte der Genetiker Axel Kahn von der Universität Paris V.

Was Sarkozy will, ist eine an den Kriterien der Unternehmensproduktivität orientierte Forschung. Doch der Vergleich, mit dem er argumentiert, hinkt. Frankreich wendet 2,1 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts (BIP) für die Forschung auf, Großbritannien 1,78 Prozent. Auf der Weltrangliste nimmt es damit den 18. Platz ein. Bei den weltweiten Veröffentlichungen beträgt sein Anteil vier Prozent. Es liegt damit auf dem fünften Platz. Wie absurd eine rein quantitative Betrachtung der Leistungsfähigkeit der Forschung ist, zeigen zudem die zahlreichen Beispiele von Wissenschaftlern, deren bahnbrechenden Entdeckungen oft lange Jahre der Grundlagenforschung vorausgehen.

Auf die Empörung reagierte Sarkozy mit der Anweisung an die Ministerin, nach anderen „Pisten“ für die Beurteilung der Professoren zu suchen. Das umstrittene Dekret ist damit praktisch tot. Welche Alternative die Ministerin präsentieren wird, bleibt abzuwarten. Doch das Misstrauen an den Universitäten ist weiter groß. Für den heutigen Donnerstag hat die „nationale Koordination“ der Streikkomitees an den 80 Unis des Landes zu neuen landesweiten Kundgebungen aufgerufen. Der Verzicht auf das Dekret allein genügt nicht mehr. Die Regierung soll das ganze Gesetz von 2007 zurücknehmen, vom geplanten Fortfall der Stellen absehen und einen „wirklichen Dialog“ über die Reform des Hochschulwesens eröffnen.


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